Cocrafting – Handwerk 2.0

No°9

Credit: handwerk magazin/Fabian Zapatka

Berlin ist bunt. Und zwar auch, was modernes Arbeiten im Handwerk betrifft. Für die aktuelle Printausgabe des handwerk magazins durfte ich in einer Reportage das KAOS vorstellen. Der Cocrafting Space, der sich mitten im Herzen Ostberlins befindet, setzt auf eine ausgeprägte Kultur des Teilens und Miteinanders.

Die Kamera auf Position. Im Hintergrund befindet sich ein alter Industriebau, der im grauen Berliner Winter wie verlassen scheint, gleichermaßen aber auch eine geeignete Kulisse für ein Shooting bietet. Mühsam dringt das Tageslicht an diesem Januartag durch die Wolkendecke. Gerade gut für die nächste Aufnahme. Plötzlich stoppt Volker Rueß den Fotografen: „Da muss ich kurz rangehen“, deutet er auf sein Smartphone. Zwei Minuten Pause. „Nur eine Anfrage für einen Auftrag, den ich aber nicht mehr annehmen kann.“ Nicht ohne Grund, Rueß war einst als Schmied im KAOS tätig, heute ist er voll und ganz Geschäftsführer des Cocrafting Space.

Ein Hof mit vielen Facetten

Mitten im Herzen Ostberlins befindet sich die Kreative Arbeitsgemeinschaft Oberschöneweide, kurz das KAOS. Im Sommer 2013 wurde der Cocrafting Space von drei befreundeten Designstudenten gegründet. Es ist ein Ort für interdisziplinären Austausch und zwar auf den verschiedensten Ebenen. Mehrere Künste und Gewerke teilen gemeinsame Räume, Projekte, Ideen, aber auch Maschinen miteinander. Die historische Lagerhalle mit direkter Nähe zur Spree verfügt über zahlreiche Werkstätten, Ateliers sowie Gemeinschaftsräume. Typisch Berlin ist es ein bunter Ort, wo über die Jahre schon Holzhandwerker, Glaser, Schlosser, aber auch Produkt- und Möbeldesigner Teil der Community sind und waren. Immer wieder zieht es auch verschiedene Kunsthandwerker und Künstler wie Filmemacher, Lichtdesigner und Musikproduzenten an. Insgesamt zählt das KAOS aktuell 110 Mitglieder – inklusive der Autorin dieses Textes. Gewissermaßen versteht sich der Space als Hybridmodell, neben Werkstätten gibt es auch einen klassischen Coworking-Bereich. Die Finanzierung des Cocrafting Space läuft über drei Säulen: Neben den regelmäßigen Einnahmen durch die Mitglieder werden als zweite Säule einzelne Flächen entweder verkauft oder aber vermietet. Über die Jahre wurden als dritte Säule zudem einige Räumlichkeiten so ausgebaut, dass sie für externe Events, Roadshows und Workshops, aber auch für Hochzeiten, Fotoshootings und Filmdrehs zur Verfügung stehen.

Der größte gemeinsame Teiler

Doch um was geht es im KAOS genau? Der Kern des Berliner Cocrafting Space definiert sich vor allem über einen ausgeprägten Community-Gedanken sowie eine Kultur des Teilens, von der ein jedes einzelne Mitglied tagtäglich profitieren kann. So teilt sich Catharina Rubel gemeinsam mit drei anderen Keramikerinnen nicht nur die Werkstatt, sondern auch einen Brennofen, der für den Einzelnen andernfalls eine Investition von etwa 2.000 Euro bedeuten würde. Weil so ein Ofen gerade beim Schrühbrand Temperaturen um die 1.000 Grad Celsius erreicht und damit einen entsprechend hohen Energieverbrauch hat, wird die Nutzung bei möglichst voller Auslastung untereinander abgestimmt: „Es wäre wenig effizient den Ofen halbvoll laufen zu lassen. Außerdem können Rohlinge ohnehin gar nicht lang genug trocknen, was längere ‚Wartezeiten‘ unproblematisch macht“, erklärt die Keramikerin. Auch in der Holzwerkstatt teilt man sich große Maschinen wie die Plattensäge, die einst von mehreren Mitgliedern gekauft wurde. Jedes neue Mitglied, das keine Maschine beisteuert, zahlt 70 Euro in die Rücklagenkasse für Reparaturen und Neuinvestitionen. Doch nicht nur Werkzeuge und Maschinen teilt man sich im KAOS, auch Aufträge werden gelegentlich zum Gemeinschaftsprojekt, wie sich Volker Rueß erinnert: „Ein ehemaliger Polsterer hatte vor Jahren einen Auftrag für mehrere Sofas mit Beistelltischen. Zwei Produktdesigner haben ihn dann beim Entwurf unterstützt und ein Schlosser die Beschläge gebaut.“ Auf die innovativen Ideen im Alltagsgeschehen eines Cocrafting Space freut sich auch Arash Davar, der erst seit wenigen Wochen Mitglied ist und Schmuck aus Beton fertigt: „Schon in meinen ersten Tagen hier habe ich die geballte Kreativität des Kollektivs gespürt und dank inspirierender Gespräche direkt neue Ideen entwickelt.“ Schmied und Metallarbeiter Jan Kuhr schätzt vor allem auch die fachübergreifende Vernetzung und Unterstützung unter den Mitgliedern: „Für den Bau meiner Homepage hat mir eine Webdesignerin geholfen. Binnen kürzester Zeit hat sie meine Seite strukturiert und zu einer besseren Sichtbarkeit im Netz verholfen.“ Künftig will er noch mehr auf diesen Aspekt des Teilens setzen. Auch Mechatroniker Felix Telzerow sieht die Stärken des Spaces im täglichen Wissensaustausch. Zusammen mit einem Zweiradmechaniker und einem Maschinenbauer baute er über Wochen an einem Lastenrad. Statt ständig mit dem Transporter zum nahegelegenen Baumarkt zu fahren, sollte mit den Mitteln einer Nachhaltigkeitsförderung ein klimafreundliches Gefährt zur solidarischen Nutzung entstehen. Mit Erfolg – auch für den Einzelnen: „Im KAOS hat man ständig die Möglichkeit von anderen Mitgliedern zu lernen. Durch ein Projekt wie dieses haben sich meine Fähigkeiten im Schweißen nochmal enorm verbessert“, freut sich Telzerow. Schon mehrfach haben in der Vergangenheit gegenseitige Inspiration und Motivation nicht nur zu gemeinsamen Projekten, sondern schließlich sogar zu gemeinsamen neuen Firmen geführt.

Faire Mitgliedschaft

Als soziales Kollektiv entschied man sich in puncto Finanzierung für ein faires, flexibles Mietsystem. Bewusst wird bei den einzelnen Verträgen auf eine Mindestlaufzeit verzichtet, um so kein Mitglied bei Engpässen in Schieflage zu bringen. Auch die Mietbeiträge ermittelt man gerecht für den Einzelnen, worin sich das KAOS von den festen Tarifsätzen anderer Spaces unterscheidet. Um den jeweiligen Betrag zu berechnen, werden zunächst mehrere individuelle Faktoren als Privatmiete definiert. Hier sind etwa die Dauer der Mitgliedschaft, die Höhe des Einkommens sowie die gebuchte Flächengröße relevant. Ebenfalls wichtig ist, ob die Person permanent Starkstrom bezieht oder einen besonderen Vorteil für die Gemeinschaft mit einbringt – wie etwa ein Spezialgerät. Je nach Mitgliedschaft können die Faktoren entsprechend variieren und sich mit der Zeit auch verändern. Zum individuell ermittelten Mitgliedsbeitrag kommen im zweiten Schritt die monatlichen Realausgaben hinzu: Netto-Kaltmiete, Energie- und Betriebskosten, Personal, Marketing, aber auch Kosten für die allgemeine Grundversorgung wie Kaffee- und Teevorräte.

Ein Macher für Macher

Anders als im hippen Berlin mutet die Cocrafting-Idee von Michael Schmutzer aus dem mittelfränkischen Neuselingsbach an. Als Unternehmer entwickelt er…

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